Hallo,
danke, dass du das Thema ansprichst!
Grundsätzlich, ein paar Worte vorneweg: ich bin ein eher zurückhaltender Mensch, der Berührungen oder auch andere körperliche Nähe nur zögerlich akzeptiert. Bis mich privat z.B. Freunde, Partner, ein neues Familienmitglied etc. umarmen, drücken etc. dürfen, vergeht etliche Zeit, viel mehr als oft bei anderen Leuten. Jemanden, den ich nicht wirklich sehr gut kenne, bei z.B. einem Schultheaterstück, bei Hilfestellungen im Sport etc. zu berühren, war mir immer sehr unangenehm. (Manche vermuten, es hätte etwas mit der Skoliose zu tun, und da ich hier schreibe, könnte man das erst recht vermuten, aber dem ist nicht so. War schon vor der Skoliose so. Ich führe das vor allem an, um zu vermitteln, wie ich zu Berührungen stehe.)
Bei Ärzten: Behandlungsnotwendige Berührungen akzeptiere ich hingegen relativ schnell; mir sind da am liebsten Ärzte und andere Behandler, die ihre Sache nüchtern und knapp machen. D.h.: ich mag es nicht, wenn zusätzlich zur Behandlung noch üppiges Händeschütteln, oder gerade, wie es einem als Kind schon mal begegnet, Hand auf die Schulter, durch die Haare wuscheln... dazu kommt.
Schamgefühl: Unangenehm waren mir Orthopäden und Physiotherapeuten, bei denen ich das Gefühl hatte, nun als der ganz schlimme bemitleidenswerte Fall dazustehen, inklusive des zwischen Röntgenbild und mir hin und her wandernden skeptischen Blicks sowie Kommentaren und einem gefühlten "die Hände vor dem Kopf zusammenschlagen". Ich habe mich nicht grundsätzlich bzgl. der Deformation durch die Skoliose geschämt, aber ich habe mich dann vor solchen Behandlern geschämt, die den Eindruck machten, eine Skoliose sei etwas zum Naserümpfen, ganz schlimmes und da sei nicht mehr viel Hoffnung, irgendwie was daraus zu machen. Bezüglich dieser Behandler würde ich aus obiger Umfrage wählen "Schlecht - ich habe wirklich Ängste und ein hohes Schamgefühl." Die Ängste bezogen sich auch darauf, dass dieser Orthopäde der Verordner der nicht helfenden Korsetts war, sodass Orthopädenbesuche für mich stets bedeuteten: Verschlechterung im Röntgenbild, eine skeptisch-hoffnungslose Reaktion, Verschärfung der Behandlung (längere Tragezeiten, "Androhung" eines Korsetts mit Halsteil), keine positiv-hilfreiche Reaktion, Hinwegsehen über Schwierigkeiten in der Behandlung (z.B. psychische Belastung und Alltagseinschränkung durch das sehr auffällige, sperrige Korsett, Schwierigkeiten und nicht Unwillen beim Durchführen bestimmter Physiotherapie-Übungen). Zudem kam ich mir immer vor, als "das Kind meiner Eltern" behandelt zu werden - "Ihre Tochter" braucht diese und jene Behandlung, "Sie müssen bei Ihrer Tochter" auf dieses und jenes achten. Persönlich wurde ich kaum angesprochen, außer mal ein mitleidiges Lächeln oder kindliche "na jetzt sind ja bald Ferien?"-Plauderfragen.
Ungleich viel positiver kamen da andere Orthopäden rüber - in der Klinik, in der ich operiert wurde - , die eher eine nüchtern-hilfsbereite Stimmung vermittelten: das wirkte nach "du hast Skoliose, sowas kommt eben mal vor, viele Menschen haben Skoliose, wir helfen dir". Sie beschönigten nichts, z.B. die Heilungsdauer und der Aufwand einer nichtprimärstabilen (= damals üblichen) OP, stellten das aber alles korrekterweise als lösbares Problem, für welches sie Experten sind, dar. Bezüglich dieser Orthopäden würde ich aus obiger Umfrage wählen "Mir geht es gut dabei - endlich wird mir geholfen, da zieh ich mich auch gerne aus!" Orthopädenbesuche dieser Art bedeuteten für mich: eine Begutachtung (geht nunmal nur ausgezogen), hilfreiche Behandlungsvorschläge, ein ehrlicher Umgang mit mir (kein "Mitleidsbetüddeln", sondern sachlich-ehrlich: Behandlung erfolgt so und so, Hinweise bzgl. Organisatorisches im Vorfeld einer OP und danach). Ich wurde als die Patientin gesehen, nicht nur als "die kranke Tochter von...", und ich wurde ernst genommen. Das war mir sehr wichtig - immerhin, mit dem Klinikaufenthalt, mit den Einschränkungen nach der OP, mit dem zu erwartenden bleibenden Anteil der Einschränkungen, mit den Verhaltensregeln, dem Schulausfall etc. musste ja ich klarkommen.
Arztbesuche habe ich heutzutage nur noch selten: Aufgrund der Skoliose nicht mehr, und ansonsten habe ich auch keine weiteren Erkrankungen, sodass sich Arztbesuche zuallermeist auf Impfungen und die Gynäkologie-Vorsorge beziehen. Ist es doch einmal erforderlich bzw. sinnvoll, einen Arzt bzgl. einer Diagnose oder einer größeren Kontrolle aufzusuchen, die einen Spezialisten erfordert, habe ich kein schlechtes Gefühl dabei, wenn es sich eben wirklich um einen Spezialisten handelt. Etwa mich im März 2013 zwecks neuem Röntgenbild in der Orthopädie der Uniklinik Heidelberg vorzustellen und die dortigen Untersuchungen durchführen zu lassen, war für mich unproblematisch, weil ich wusste: eine operierte Skoliose ist für sie normal. Bei einem neuen Hausarzt den Rücken, Röntgenbilder etc. vorzuzeigen, ist schon etwas anderes, weil an Reaktion alles mögliche kommen kann, meist aufgrund von Unkenntnis starke Irritation mit viel Mitleid und mich als wesentlich stärker eingeschränkt einschätzen, als ich es bin. Unter den (Haus-)Ärzten, die Skoliose-OPs nicht kennen, sind mir die ruhig-unaufgeregten, die nachfragen und das recht sachlich (Krümmungswinkel vorher-nachher, wie fühlt sich das im Alltag an, wie kommen Sie zurecht, Bewegungseinschränkungen registrieren aber nicht mitleidsvoll kommentieren) angehen, am liebsten.
Viele Grüße Raven
_________________  Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um so zu sein, wie andere mich haben wollen.
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